Miroslav Srnka

Biographie

Der internationale Durchbruch gelang Miroslav Srnka 2016 mit der Uraufführung seiner Oper „South Pole“ an der Bayerischen Staatsoper München unter Kirill Petrenko in einer Inszenierung von Hans Neuenfels mit Rolando Villazón und Thomas Hampson in den Titelrollen.

Doch bereits zuvor hatte Srnka mehrere bedeutende Aufträge und Auszeichnungen erhalten, darunter 2009 den Komponistenpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung. Seine Werke wurden von namhaften Interpreten aufgeführt, darunter dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Los Angeles Philharmonic, dem NHK Symphony Orchestra Tokyo, dem BBC Philharmonic Orchestra, dem Radio-Symphonieorchester Wien, der Tschechischen Philharmonie, dem Beethoven Orchester Bonn, dem Ensemble Intercontemporain, dem Ensemble Modern, dem Klangforum Wien und dem Münchner Kammerorchester, unter Dirigenten wie als Peter Eötvös, Jakub Hrůša, Susanna Mälkki und Cornelius Meister bei Festivals wie Lucerne Festival, Ultraschall Berlin, Wien Modern, Présences Paris, Prager Frühling, Musica Straßburg, Milano Musica, Printemps des Arts de Monte-Carlo, Ostrava New Music Days und Contempuls.

Sein neues Orchesterwerk Superorganisms, ein Auftragswerk der Berliner Philharmoniker und ihres Chefdirigenten Kirill Petrenko, wird in dieser Saison und in den kommenden Spielzeiten mit dem NHK Symphony Orchestra Tokyo, der Tschechischen Philharmonie, dem Los Angeles Philharmonic und dem Orchestre de Paris uraufgeführt.

In der Saison 2023/24 werden auch weitere neue Werke von Srnka aufgeführt: Das WDR-Symphonieorchester bringt ein neues Stück für zwei Hörner zur Uraufführung, das vom Gürzenich-Orchester Köln unter Francois-Xavier Roth uraufgeführte Cembalokonzert „Standstill“ für Mahan Esfahani wird vom Radio-Symphonieorchester Prag erstmals in der Tschechischen Republik aufgeführt und in der Wettbewerbssektion Violine wird ein neues Stück für Violine uraufgeführt das Prager Frühlingsfest.

Seine Kurzoper Wall nach einem Werk von Jonathan Safran Foer wurde 2005 an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin uraufgeführt, 2006/2007 war er „Komponist für Heidelberg“ am Theater Heidelberg. 2011 wurde seine Kammeroper Make No Noise an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt und Jakub Flügelbunt, ein „Comic für drei Sänger und Orchester“, wurde an der Semperoper Dresden uraufgeführt. Im Jahr 2017 präsentierte das Festival Dialoge in Salzburg mit zahlreichen Veranstaltungen und Uraufführungen ein umfassendes Porträt des Komponisten. Für seine 100. Saison 2018/2019 beauftragte das Los Angeles Philharmonic Srnka mit der Komposition des Stücks Overheating. Im Jahr 2015 präsentierte die Konzertreihe musica viva in München move 01 & 02. Im Rahmen derselben Reihe im Jahr 2019 wurde Speed of Truth mit Jörg Widmann, Klarinette, und dem Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Susanna Mälkki uraufgeführt. Das Auftragswerk Milky Way, geschrieben für die ECHO (European Concert Hall Organisation) Rising Stars Tour und den Trompeter Simon Höfele, wurde im Concertgebouw in Amsterdam uraufgeführt, mit weiteren Aufführungen in der Elbphilharmonie in Hamburg, der Kölner Philharmonie, der Philharmonie Luxembourg, dem MüPa Budapest, The Sage Gateshead, St Lukes in London, dem Gulbenkian in Lissabon, Baden-Baden und Birmingham.

2021 brachte die Bayerische Staatsoper München gemeinsam mit dem Klangforum Wien unter Patrick Hahn seine neue Kammeroper Singularity – A Space Opera for Young Voices zur Uraufführung.

Srnka arbeitet seit vielen Jahren mit dem Ensemble Quatuor Diotima zusammen, das seine Quartette europaweit aufführt und eine Porträt-CD mit Kammermusik beim Label Naive herausgibt.

Srnka, geboren 1975 in Prag, studierte Musikwissenschaft an der Karls-Universität und Komposition an der Prager Akademie der Musischen Künste. Er ist Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln und gefragter Juror bei Wettbewerben wie dem renommierten Mahler-Wettbewerb in Bamberg oder dem Mauricio Kagel-Kompositionswettbewerb. Er ist außerdem Mitglied des künstlerischen Beirats des Prager Frühlings, wo er Prague Offspring gründete und mitkuratierte, ein Festival, das sich auf neue Musik konzentriert.

composer_first_namecomposer_last_nametitledateorchestraconductorlocationspecial
CharlotteSeitherNeues Werk für Stimme und Klavier 05.07.2025Dietrich Henschel (Bariton), Anne Le Bozec (Klavier)Bad Kissingen (Kissinger Sommer, Liederwerkstatt)Uraufführung
PhilippMaintzchoralvorspiel XIX (wie schön leucht uns der morgenstern) für orgel solo18.07.2025Georg Gottschlich (Orgel)Berlin (St. Marien Friedenau)
Andrea LorenzoScartazzini Enigma für Orchester18.07.2025Jenaer PhilharmonieSimon GaudenzToblach (Mahler Festwochen)
Beat FurrerProphezeiungen – für Alt, Kontrabassklarinette und Akkordeon 19.07.2025Helena Sorokina (Alt), Marco Sala (Kontrabassklarinette), Krassimir Sterev (Akkordeon), Cantando AdmontCordula BürgiSalzburg (Salzburger Festspiele, Kollegienkirche)
ManfredTrojahnStreichquartett Nr. 326.07.2025Kuss QuartettHitzacker (Sommerliche Musiktage)
Beat FurrerProphezeiungen – für Alt, Kontrabassklarinette und Akkordeon 27.07.2025Helena Sorokina (Alt), Marco Sala (Kontrab.klarinette), Krassimir Sterev (Akk.), Cantando AdmontCordula BürgiOssiach (Carinthischer Sommer, Stiftskirche)
CharlotteSeither„ahnst du“ für Orchester, Chor und Vokalensemble02.08.2025Orchester, Chor und Vokalensemble der Musikakademie der StudienstiftungMartin WettgesBruneck (Intercable Arena)
PhilippMaintzchoralvorspiel XXXVII (so nimm denn meine hände) choralvorspiel XXXVII (so nimm denn meine hände)07.08.2025Leo van Doeselaar (Orgel)Kampen (Bovenkerk)Niederländische Erstauff.
PhilippMaintzchoralvorspiel XXXVIII (schmücke dich, o liebe seele)13.08.2025Anna-Victoria BaltruschTrier (Konstantinbasilika)
PhilippMaintzchoralvorspiel XXXVIII (schmücke dich, o liebe seele)17.08.2025Anna-Victoria BaltruschFulda (Dom St. Salvator)
PhilippMaintzchoralvorspiel III (die nacht ist vorgedrungen) für orgel solo22.08.2025Angela Metzger (Orgel)Berlin (Internationaler Orgelsommer, Dom)
DieterAmmannViola Concerto „No templates“30.08.2025Tabea Zimmermann (Viola) Lu­cerne Festival Contemporary OrchestraDavid RobertsonLuzern (Lucerne Festival)
Bernd AloisZimmermannMusique pour les soupers du Roi Ubu31.08.2025Deutsches Symphonieorchester BerlinAnja BihlmaierBonn
Beat FurrerKlavierkonzert Nr. 203.09.2025Francesco Piemontesi (Klavier), Orchestre de la Suisse RomandeJonathan NottGenf (Victoria Hall)Urauff., auch 4.9. Genf
DieterAmmannViolation für Violoncello und Orchester14.09.2025Sol Gabetta (Violoncello), Lucerne Festival Contemporary OrchestraRiccardo ChaillyLuzern (Lucerne Festival)
Matthias Pintscher NUR für Klavier und Ensemble26.09.2025Conrad Tao (Klavier), Konzerthausorchester Berlin Matthias PintscherBerlin (Konzerthaus)auch 27.9.
BeatFurrerPHAOS für Orchester28.09.2025Basel SinfoniettaTitus EngelBasel (Stadtcasino)Schweizer Erstauff.
PhilippMaintzchoralvorspiel IX (erbarm dich mein, o herre gott) für orgel solo06.10.2025Henry Fairs (Orgel)Berlin (Maria unter dem Kreuz, Vierter Orgelzyklus)
PhilippMaintzenglouti, haché11.10.2025Angela Metzger (Orgel) Madrid (Auditorio nacional de Música)Span. Erstauff.
DieterAmmannViola Concerto „No templates“16.10.2025Nils Mönkemeyer (Viola), Münchener KammerorchesterBas WiegersMünchen (Prinzregententheater)
ManfredTrojahnHerbstmusik - Sinfonischer Satz23.10.2025Tiroler SymphonieorchesterGerrit PrießnitzInnsbruck (Congress)auch 24.10.
BeatFurrerStudie III für Klavier solo02.11.2025Filippo Gorini (Klavier)Hong Kong (City Hall)Uraufführung
Beat Furrer PHAOS für Orchester02.11.2025Basel SinfoniettaTitus EngelEssen (Philharmonie)
Andrea LorenzoScartazziniEarth für Orchester (Neues Werk zum 200. Jubiläum der Bremer Philharmoniker)02.11.2025Bremer Philharmoniker Marko LetonjaBremen (Die Glocke)Urauff., auch 3.11.
GiselherKlebeDas Mädchen aus Domrémy23.11.2025Alexander Hannemann, Regie: Michael DissmeierDetmold (Hochschule für Musik)
Lubica CekovskáToy Procession or orchestra28.11.2025Houston Symphony OrchestraJuraj ValcuhaHouston (Jones Hall)Uraufführung
PhilippMaintzjag die hunde zurück! für sechs soprane und sechs schlagzeuger 29.11.2025N. Senatskaya/S. Bódi/I. Balzer-Wolf/C. Vélez Murcia/H. Kim/M. Viera (Soprane), Christoph SietzenWien (Festival Wien Modern, Konzerthaus)Österr. Erstaufführung
PhilippMaintzhaché für orgel solo, englouti für orgel solo09.12.2025Angela Metzger (Orgel)München (musica viva, Herkulessaal der Residenz)
PhilippMaintzchoralvorspiel II (rorate cæli desuper) für orgel solo14.12.2025Andreas Sieling (Orgel)Berlin (Dom)Uraufführung
BeatFurrer„Ira-Arca“ für Bassflöte und Kontrabass20.01.2026Kammerensemble Neue Musik Berlin Berlin (Konzerthaus)

Werke












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    In Vorbereitung

    Willst wohl einmal hinübersehn?
    for ensemble [Interludium zu Franz Schuberts „Winterreise“] (2005). BA 7773, auf Anfrage
    Besetzung: 1 (auch Picc, auch BFl), 1, 1 (auch BKlar), 1 – 1, 0 0, 0 – Schlg (1) – Str (1, 1, 1, 1) / 5 Minuten
    Uraufführung am 27. Mai 2005 in Berlin, Abschlusskonzert „Kulturjahr der Zehn”: Sinfonietta Leipzig, Leitung Johannes Harneit




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    Auf Anfrage / In Vorbereitung

    Psát tvoje oci / Write Your Eyes
    (Deine Augen schreiben). Five songs for soprano and chamber orchestra on texts by Petr Borkovec (2002)
    Besetzung: 2,2,2,2 – 2,2,0,0 – Schlg (3) – Str (6,5,4,3,2) / 11 Minuten








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    Auf Anfrage / In Vorbereitung

    docudrama01 – Orph & Eury
    for wind trio (2014), 4 Minuten, in Vorbereitung
    Uraufführung am 23. Januar 2015 Berlin, Ultraschall: ensemble recherche

    Fictitious Hum
    für Oboe, Klarinette, Klavier und Streichquartett (2007). 12 Minuten. BA 9375, in Vorbereitung
    Uraufführung am 15. Juni 2007 in Essen, YOUrope together: Prague Modern

    Hejna
    for clarinet, percussion (1 player), harp, piano and accordion (2010). ca. 17 Minuten. BA 9394, in Vorbereitung
    Uraufführung am 20. Oktober 2010 in München, Klangspuren plus – Porträtkonzert der Münchener Biennale: Stefan Schneider (Klarinette), Konstantin Ischenko (Akkordeon), Feodora Gabler (Harfe), Simon Klavzar (Schlagzeug), Jean-Pierre Collot (Klavier), Tobias Peschanel (Dirigent)

    here with you
    für Violine und Violoncello (2016), in Vorbereitung
    Uraufführung am 10. Juni 2016, Freiburg: Ensemble Recherche

    Maria’s Choice
    (final version) for flute, clarinet, 2 saxophones and percussion (2006). BA 9335, in Vorbereitung
    Uraufführung am 3. Februar 2007 in Paris: Ensemble Hic et Nunc

    Surprises in the Dark
    for flute, clarinet, violin, alto, violoncello and piano (2002). 11 ½ Minuten. BA 9312, Partitur und Stimmen in Vorbereitung
    Uraufführung am 14. November 2002 in Paris: Centre tchéque, Ensemble MoEns

    track 01
    for violin and piano (2014), 3 Minuten, in Vorbereitung
    Uraufführung 14. März 2014, Monte-Carlo, Printemps des Arts de Monte-Carlo: Lorenzo Gatto (Violine), Nathanaël Gouin (Klavier)

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    Auf Anfrage / In Vorbereitung

    Coronae
    for solo horn. BA 9385, in Vorbereitung
    Uraufführung am 16. März 2010 in Frankfurt (Alte Oper): Saar Berger (Horn)

    origami
    for accordion solo (2015), in Vorbereitung
    Uraufführung 25. April 2015 Witten, Tage für Neue Kammermusik: Teodoro Anzellotti (Akkordeon)

  • A Prima Mad
    for alto saxophone or flute (2002). 7 Minuten

    Joy and Sorrow of 1862
    for chamber orchestra (2002)
    Besetzung: 2,2,2,1 – 1,2,1,1 – Schlg (2) – Str (4,4,3,2) / 5 ½ Minuten

    Kráter Brahms / Brahms Crater
    for six violoncellos or six violins (2002). 10 ½ Minuten

    Collapsing
    for bass flute solo, soprano saxophone solo and two alto flutes, two flutes in C and piccolo flute (2001). 3 ½ Minuten

    Sonnet 64
    (… lofty towers I see down-razed) for high soprano and bass drum on text by William Shakespeare (2001). 5 ½ Minuten

    Ranní hajahu / The Morning Hajahu
    for nine percussion instruments (1 performer) (1999). 7 Minuten

Interview

Absolute Offenheit

Uli Aumüller im Gespräch mit Miroslav Srnka

Der berühmte Wettlauf um die Erreichung des Südpols ist Thema und Folie der Oper „South Pole“. Viel mehr steckt darin als allein die Konkurrenz zweier Männer auf der Suche nach Ruhm: Vor rund 100 Jahren – am Vorabend des Ersten Weltkrieges – machten sich zwei Expeditionen gleichzeitig auf den Weg, um als erste den Südpol zu erreichen. Ein Team, das des Norwegers Roald Amundsen, gewann das Wettrennen und kehrte wohlbehalten zurück, das andere erreichte ein paar Wochen später das Ziel inmitten einer menschenleeren Eiswüste, erfror aber auf dem Rückweg. Das Ereignis war damals Thema in den Schlagzeilen sämtlicher Tageszeitungen: Das kleine Norwegen konnte einen überraschenden Triumph „für König und Vaterland“ feiern, aber der heroische Tod der Briten verhalf den Männern von der Insel zu einem moralischen Sieg.

Was prädestiniert diesen Stoff, ihn in Form einer Oper in Szene zu setzen? Und welche Rolle spielt die Musik dabei, der Gesang? Die Geschichte von South Pole erzählt nicht nur von einer sensationellen körperlichen Leistung, einem bewundernswerten Akt von Willen und Logistik. Das jedoch wäre für eine Oper zu wenig. Aber als Amundsen und Scott einen der letzten noch unberührten Flecken dieser Erde eroberten, trugen sie sich in die Bücher der Mythologie des 20. Jahrhunderts ein – und gerade Scotts Scheitern zeigte, dass sie dabei auch eine Grenze überschritten. Die Überschreitung dieser Grenze birgt Dimensionen, die auch seit über hundert Jahren nicht an Aktualität verloren haben.

Die beiden Abenteurer und Pioniere Amundsen und Scott stilisierten sich selbst als Helden und wählten die Antarktis als ihre große Bühne. Mit ihren Persönlichkeiten, ihren Brüchen und Abgründen, wurden sie zu einem Mythos des 20. und 21. Jahrhundert, zu Symbolfiguren der Hybris der Moderne. Die Musik Miroslav Srnkas greift die Ereignisse in den Jahren 1911 bis 1912 auf, begibt sich in die Atmosphäre des lebensfeindlichen Eises, der Einsamkeit, von Bewegung und Stillstand der Expeditionen, dem Orientierungsverlust bei Stürmen, der (Schnee-)Blindheit bei Sonnenschein, dem Auf und Ab von Hoffnung und Verzweiflung. Eine Oper für ein Publikum der Moderne, das sich für seine Gegenwart interessiert – ihren Mythos, ihren Fluch und ihre Möglichkeiten.

Wie entstand die Idee zu South Pole?
Auf Wandertouren und in der Natur traten die Fragen auf: Wie ist das, wenn man noch viel weiter weg ist und überhaupt nichts dabeihat, was man in der Zivilisation sonst braucht? Das war der Anfang. Später bin ich auf die Story von Scott und Amundsen gestoßen, die so ungemein spannend in ihrer Zeitlichkeit und in ihrem Drama ist. In einer zweiten Frage geht es um die Oper an sich, die als Form etwas absolut Stilisiertes und Unrealistisches in sich trägt. Ich habe nach einer Realität gesucht, die in sich schon absolut unrealistisch aussieht. Das ist die Antarktis. Wie es dort ist, hat nichts zu tun mit der Welt hier, sie scheint so absolut stilisiert zu sein wie die Opernwelt. Aber das ist nur die Ecke der Realität – und diese hat mich dann fasziniert.

Also ist es gerade die Wirklichkeitsferne der Antarktis, die sie der Wirklichkeitsferne der Oper ähnlich macht?
In einem gewissen Sinne stimmt das so. In dieser Welt dort ist etwas absolut Offenes und „Unbegrenztes“. In der Antarktis gibt es einfach keine Zivilisation. Es gibt nur die Helden, die Figuren, nur die Charaktere in einer unendlichen Welt, die keine Zivilisationsmerkmale trägt. Das gibt dem Stück eine riesige Freiheit. Die Tatsache, dass es dort keine Zivilisation gibt, setzt den Fokus auf die Menschen – in einer extremen Situation. Auch in der Oper sind die Figuren meist in einer extremen Situation und müssen mit sich selbst kämpfen.

Wie klingt South Pole?
Ich habe viel recherchiert. Die Menschen stellen sich die Antarktis still vor, aber sie ist alles andere als das. Die Winde und die Natur und alles, was es da gibt, ist sehr laut. Alles, was auf die Sinne wirkt, ist extremer als das, was wir hier in der Zivilisation je erleben. In unserer Story spielt die Antarktis selbst eine Rolle: als eine Art ständig anwesender „Deus ex machina“, da die Antarktis mit den beiden Expeditionsteams ein Spiel gespielt hat. Die Verhältnisse der Teams waren völlig unterschiedlich. Es scheint fast, als ob jemand bestimmt hätte, welches gewinnen soll. Zum Beispiel dieses Glück, das Amundsen mit dem Wetter hatte, und dieses wahnsinnige Unglück von Scott macht die Antarktis zu einer Art handelnden Entität. Sie ist in der Oper nie personifiziert. Aber wir haben sie im Hinterkopf präsent.

Wovon handelt die Oper?
Die Oper handelt von dem Wettrennen zwischen Scott und Amundsen. Der Untertitel „Eine Doppeloper in zwei Teilen“ erklärt, wie die Musik gemacht ist. Es sind zwei musikalische Schichten, die immer parallel laufen und asymmetrisch in ihren Tempi sind, weil wir die beiden Teams mit wenigen Ausnahmen immer parallel auf der Bühne haben. In der Realität sind sie aber getrennt. Denn sie sind sich ja in der Antarktis nie begegnet. Jeder ist einen anderen Weg gegangen, und der einzige Verbindungspunkt war der Südpol, zu dem sie aus unterschiedlichen Richtungen gekommen sind. Die ganze Oper erzählt zweimal die gleiche Story, eine Geschichte, die sich in Kleinigkeiten verändert, was am Ende zu fatalen Konsequenzen führt. Die Oper vollzieht sich in einer Art Simultaneität, handelt aber auch – und das ist für mich ein zentrales Thema – von Kommunikation. Wir leben heute in einer Welt, in der Kommunikation ständig vorhanden ist. Hier jedoch haben wir zwei Teams, die jahrelang nicht wissen, wie es dem anderen geht. Das Spannende ist, was dann in ihren Köpfen arbeitet. Tom Holloway hat ein faszinierendes Libretto für mich geschrieben, in dem er sich auf die psychologische Entwicklung der beiden Hauptdarsteller und auch der Männer in den Teams konzentriert. Er hat auch in ihrem privaten Leben Interessantes gefunden, was begründen mag, weshalb sie die Expedition unternommen haben. Diese kann man als eine Art Selbstmordveranstaltung auffassen – für die Hälfte der Männer wurde dies ja dann auch Realität.

Und die Musik?
Ich habe eine Struktur gesucht, die in sich absolut fließend sein soll. Was in der Antarktis stattfindet und was die Männer auch in ihren Tagebüchern beschrieben haben, ist ein „Fehlen“. Es fehlt einfach an klaren visuellen Gegenständen. Das einzige, was sie die ganze Zeit sehr gut strukturiert sehen können, ist ein Horizont, und auch der ist sehr oft verschwunden. Wenn es zum Beispiel schneit, dann beschreiben die Männer in ihren Tagebüchern, dass sie einfach überhaupt nicht mehr entscheiden können, wo Boden, Himmel, unten, oben ist. Die Kategorien, mit denen wir unsere Umgebung normalerweise beschreiben, sind verschwunden, und ich habe deswegen nach einer Musik gesucht, die sich frei bewegt.

Ist das für dich sozusagen Science-Fiction aus der Vergangenheit?
Ja, ich liebe Science-Fiction, weil sie sich mit Kategorien beschäftigt, die in sich eine große Freiheit haben. Sie beschreiben nicht unsere Welt, sondern eine größere Welt, mit mehr Möglichkeiten.

Ein ganz wichtiges Thema in der Oper ist dieser Weg zu einem vermeintlichen Ziel. Als die Männer ankommen, stellen sie fest, dass das, wonach sie Jahre oder vielleicht das ganze Leben gestrebt haben, eigentlich leer ist, und dass sie das alles aus ganz anderen Gründen getan haben, weil jeder einen Weg für sich selbst suchte.

Der ganze gesamte gesellschaftliche und politische Diskurs beschäftigt sich mit den Fragen: Worauf haben wir ein Recht? Was kann man sich mit Geld kaufen, was kann man sich mit politischer Kraft einfach nehmen? Es geht um die Macht, etwas für sich zu reservieren. In dieser Motivation, den Südpol zu „gewinnen“, geht es nicht nur um eine mentale Gier, einfach nur darum, physisch als der Erste dazusein, sondern auch darum, Ruhm zu erlangen und einen Teil der Gesellschaft für sich zu gewinnen. Und das hielten die Männer zunächst für ihre wahre Motivation. Erst am Südpol, als sie an einem abstrakten Punkt in einer leeren weißen Wüste stehen, hinterfragen sie diesen vermeintlichen Wert.

(aus [t]akte 2/2015)

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